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Montag, 25. März 2024

„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ von Haruki Murakami

Ich bin ja eigentlich kein großer Fan von Klappentexten. Manchmal spoilern sie, manchmal passen sie noch nicht mal zur Story. Im Fall von Haruki Murakamis „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ klingt die Handlung bereits mit den ersten Zeilen des Klappentexts sehr nach „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“. Wenn man sich die weniger guten Rezensionen auf Amazon anschaut, dann hätten diese teilweise sicherlich durch klarere Kommunikation vermieden werden können. Ein Vorwort zusätzlich zum Nachwort oder ein entsprechender Klappentext hätte vielleicht die eine oder andere Enttäuschung vermieden, dass der erste Teil bis Seite 187 im Grunde genommen schon über „Hard-boiled Wonderland“ bekannt ist und „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ eine Abwandlung des schon bekannten Themas ist. Haruki Murakami gibt im Nachwort ohnehin an:

„Jorge Luis Borgos zufolge gibt es im Grunde nur eine begrenzte Anzahl von Geschichten, die ein Schriftsteller im Laufe seines Lebens richtig erzählen kann. Wir können diese begrenzte Anzahl von Motiven nur in verschiedenen Formen und mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bearbeiten, könnte man sagen.“ (S. 636)

Sprich: Absolut neue Dinge sind vom Autor, der nun 75 Jahre alt ist, wohl nicht mehr zu erwarten. Und so findet sich nach besagten „Hard-boiled Wonderland“-Teil in den folgenden Teilen zwei und drei auch wieder allerlei Bekanntes: eine Bibliothek, ein namenloser Protagonist, Einsamkeit, Warten, Jazz, ein Keller (statt des Brunnenlochs), Essensvorbereitungen, Katzen… Alles keine Überraschungen, fühlt sich aber so wie Heimkommen an. Man weiß halt, was man bekommt. Allzu viel mehr möchte ich über die Handlung gar nicht mehr verraten. Nur vielleicht noch so viel:

Der geheimnisvolle Junge M**, der nahezu immer einen Beatles-Pullover mit dem Motiv des gelben Unterseeboots trägt, hat mich dann doch noch ein bisschen über das Lied „Yellow Submarine“ nachrecherchieren lassen. Ich dachte immer, dass eine geläufige Deutung der Songzeile „We all live in a yellow submarine“ dafür steht, dass jeder von uns in seinem eigenen Mikrokosmos lebt, was nur allzu gut zur ummauerten Stadt gepasst hätte. Allerdings scheinen die Beatles tatsächlich nur ein Kinderlied komponiert zu haben und jede Deutung darüber hinaus würde zu weit gehen. Nichtsdestotrotz scheint ursprünglich der Beginn des Liedes in einer ersten Version „In the place where I was born, noone cared, noone cared ...“ gelautet zu haben. Und leider ist das auch das Schicksal des Jungen. Niemand schert sich so wirklich um ihn, er ist in der Realität fehl am Platz. Sein Ausweg: die Stadt… dank des Jungen nimmt die Geschichte, die zwischendurch ein bisschen vor sich hindümpelt, wieder Fahrt auf. 

Tatsächlich war ich anfangs auch ein bisschen angefressen, dass die ersten knapp 200 Seiten nur eine Abwandlung von „Hard-boiled Wonderland“ waren. Schließlich und endlich ist die neue Version mit „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ aber doch ein äußerst gelungenes Werk und ich wäre gar nicht mal so traurig, wenn es den runden Abschluss des literarischen Schaffens des Haruki Murakami bilden würde. 

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Dumont Verlag, Köln 2024, ISBN 978-3832168391

Sonntag, 5. Februar 2023

Sosuke Natsukawa

Sosuke Natsukawa ist eigentlich praktizierender Allgemeinarzt in Nagano. Sein echter Name scheint unbekannt zu sein, er schreibt unter einem Pseudonym.

Sosuke Natsukawa wurde 1978 in der Präfektur Osaka geboren und studierte an der Shinshu-Universität Medizin. 2009 debütierte er als Autor mit dem Roman „Kami no Karute“, in dem der Krankenhausbetrieb in einem Vorort von Matsumoto beschreibt. Es folgten noch weitere Teile des Bestsellers, der auch verfilmt wurde. 2017 publizierte er „Die Katze, die von Büchern träumte“. Der Roman wurde ein internationaler Erfolg und in 34 Sprachen übersetzt.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetze Romane:

  • Die Katze, die von Büchern träumte

Sonntag, 22. Januar 2023

"Der Wind erhebt sich" von Tatsuo Hori

Die ersten Seiten von Tatsuo Horis "Der Wind erhebt sich" empfand ich als extrem nervig. Geschrieben in der Anrede 2. Person Singular im Präteritum war der Lesefluss ziemlich zäh. Gott sei Dank änderte sich dies nach wenigen Seiten des kurzen Büchleins, das mit unbeschwerten Sommertagen beginnt. Der namenlose Protagonist verliebt sich während seiner Sommerfrische in den Bergen. Setsuko ist der Name seiner Angebeteten, die seine Liebe erwidert. Als der Vater Setsuko besucht, müssen die Liebenden auf Distanz gehen. Der Leser wähnt ein jähes Ende der Beziehung, doch es soll anders kommen.

Es folgt ein Zeitsprung und man erfährt, dass Setsuko nun mit dem Ich-Erzähler verlobt ist. Jedoch ist sie an einer Lungenkrankheit erkrankt und bettlägerig. Wer sich mit dem Lebensweg von Tatsuo Hori beschäftigt, der weiß, dass "Der Wind erhebt sich" autobiographisch angelegt ist. Daher befürchtet man es schon: Setsukos kommender Aufenthalt in einem Sanatorium wird nicht zur Rekonvaleszenz führen.

Dem Protagonisten mag man einerseits unterstellen, er koste den Sanatoriumsaufenthalt in der Abgeschiedenheit auf groteske Weise aus, weide sich sogar an der kranken, hilflosen Setsuko. Andererseits erscheint die Kranke wie eine Kirschblüte, die bald fallen wird. Welch eigentümliche, morbide Blumenschau.

Nach den ersten, eher nervigen Seiten groovt man sich in den sehr ruhigen Lesefluss ein. Das wahrlich todtraurige Thema wird jedoch nicht bleischwer transportiert. Die Natur wird als Spiegel des Lebens. Das Jahr neigt sich dem Ende zu, so auch Setsukos Leben. Keine Lektüre für einen vergnüglichen Lesenachmittag, dafür aber ein schmales Büchlein mit Nachhall.

Bibliographische Angaben:
Hori, Tatsuo: "Der Wind erhebt sich" (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022, ISBN 978-3-96311-682-7

Samstag, 21. Januar 2023

"Die rätselhaften Honjin-Morde" von Seishi Yokomizo

Ein allwissender Erzähler lässt den Leser in Seishi Yokomizos "Die rätselhaften Honjin-Morde" an einem äußerst rätselhaften Verbrechen teilhaben: In der Hochzeitsnacht werden der wohlhabende Kenzo Ichiyanagi und seine Braut Katsuko in einem Nebenhaus ermordet. Wilde Koto-Klänge erschallen aus dem Gebäude, aber als die Angehörigen zu Hilfe eilen, finden sie es von innen verschlossen vor. Die Tatwaffe wird jedoch im Garten aufgefunden.

Die Polizei stellt Ermittlungen an, steht aber vor einem gewaltigen Rätsel. Der Onkel der getöteten Katsuko ruft einen befreundeten Ermittler hinzu. Es ist der schmuddelige und stotternde Kosuke Kindaichi, der wohl kaum ernst genommen würde, trüge er nicht ein gewichtiges Empfehlungsschreiben bei sich. Der Schein trügt: Kosuke kombiniert haarscharf und löst den Fall, an dem die Polizei gescheitert wäre.

Der Leser begleitet Kosuke bei seinen Ermittlungen, jedoch bedarf es einer Auflösung seitens des auktorialen Erzählers. Seishi Yokomizo legt für die Leserschaft falsche Fährten. Die Auflösung ist sehr überraschend.

Kosuke Kindaichi wirkt etwas wie ein junger Columbo. Die Figur scheint in zahlreichen weiteren Werken Seishi Yokomizos den Protagonisten zu stellen. Im Englischen ist bereits "Death on Gukomon Island" verfügbar: Hier versucht Kosuke Kindaichi die Stiefschwestern eines verstorbenen Freundes vor dem grausamen Schicksal zu schützen, das ihnen prophezeit wurde. Spannend, ob wir ins bald auch auf eine deutsche Version freuen dürfen.

Bibliographische Angaben:
Yokomizo, Seishi: "Die rätselhaften Honjin-Morde" (Übersetzung aus dem Japanischen: Gräfe, Ursula), Blumenbar, Berlin 2022, ISBN 978-3-351-05109-9